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Auf dem Weg zu einer europäischen Gesetzgebung

Posted on 11 September 2015

Joel HerokJoel Herok hätte freilich nichts dagegen, noch ein wenig länger in Florenz zu bleiben. Nach vier Wochen intensiver Recherche in den Historischen Archiven der Europäischen Union in der Villa Salviati, muss er sich jedoch gleichzeitig bemühen, den Fokus nicht zu verlieren. „Hier gibt es so viel Material, so viele Dokumente die ich auch unabhängig von meiner Recherche wahnsinnig interessant finde. Ich muss mich stets daran erinnern, weshalb ich hier bin“, so der Forscher, der in diesem Jahr den Sørensen Grant für seine Recherche erhalten hat. Herok ist Doktorand an der juristischen Fakultät der Universität Göttingen und hat den gesamten Juni in der Villa Salviati verbracht, um dort für seine Dissertation „Die Entwicklung von der Rechtsangleichung zur Gesetzgebung im Recht der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union“ zu recherchieren. Sein erstes Forschungsjahr neigt sich dem Ende zu und seinen Aufenthalt in den Historischen Archiven sieht der Doktorand als eines der wertvollsten Ereignisse in dieser Zeit an, da dieser ihm ermöglichte, zuvor aufgestellte Hypothesen zu be- und widerlegen, neue Erkenntnisse zu erlangen sowie generell seinen Horizont zu erweitern.

Die Rechtsnatur der Richtlinie sowie ihre Abgrenzung zur Verordnung werden seit den 1960er Jahren sowohl innerhalb der Europäischen Institutionen als auch in der Fachliteratur intensiv diskutiert. Konkret geht es um Fragen wie die zulässige Regelungsdichte oder die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien. Trotz allem erscheinen die angebotenen Antworten bislang wenig befriedigend. Dies mag mitunter daran liegen, dass die Entstehungsgeschichte der Gründungsverträge, einschließlich der Vorschriften über die gemeinschaftliche Rechtsetzung, bislang überwiegend wenig Beachtung gefunden hat. Diese Leerstelle versucht Herok mit seinem rechtshistorischen Forschungsansatz auszufüllen. Als erstes befasste er sich mit den Verhandlungen der Römischen Verträge, um so Erkenntnisse über den „subjektiv-historischen Willen“ der vertragsgebenden Mitgliedstaaten zu gewinnen. Daraufhin betrachtete er die Debatten, die beim Erlass der ersten EWG-Richtlinien sowie generell im Kontext der frühen Sekundärrechtsetzung geführt wurden. „Es ist interessant zu sehen, wie einige Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich, in den ersten Jahren sehr  kritisch auf konkrete Richtlinienvorschläge der Kommission reagierten.“

Nachdem er seine Recherche über die Gründungs- und Aufbaujahre der EWG abgeschlossen hatte, widmete sich Herok der Entstehungsgeschichte der Einheitlichen Europäischen Akte. „Diese bedeutsame Vertragsreform beinhaltete mitunter die Einfügung der heute wichtigsten Ermächtigungsgrundlage zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Aus diesem Grund war es naheliegend, mich mit der Verhandlungsgeschichte dieses Vertrages auseinanderzusetzen“, sagt der Doktorand. Zwar gibt es zur Einheitlichen Europäischen Akte keinen speziellen Fonds, allerdings erlaubte ihm der Zugriff auf den persönlichen Fonds Emanuele Gazzos Einblicke in eine Vielzahl von Dokumenten, die den Verhandlungsverlauf während der intergouvernementalen Konferenzen betreffen. Die Einsichtnahme in die Fonds von Privatpersonen war von Herok zunächst nicht eingeplant gewesen. Dem Forscher eröffnete sich indes schnell das Potenzial dieser Quelle. „Bevor die Recherche beginnt, kann man nur Vermutungen darüber anstellen, was genau man finden wird. Teilweise macht man unerwartete Funde, woraus sich dann wiederum neue Ideen ergeben.“ Entsprechend überraschend waren für ihn auch die Erkenntnisse, die er aus Dokumenten gewann, die die Entstehungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl behandeln: „Es hat mich beeindruckt, zu sehen, wie viele Thematiken, die die Entwicklung der späteren Wirtschaftsgemeinschaft betreffen würden, bereits zu so einem frühen Zeitpunkt diskutiert worden waren.“ Laut Herok gilt dies nicht allein für die Einsicht der Mitgliedstaaten, dass der Vertrag Vorschriften vorsehen müsste, die die Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Staaten verhindern würden, die den späteren Ausgangspunkt für die Schaffung von Regelungen über die Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen darstellen sollte. Ferner wurde bereits ein weiteres zentrales Thema diskutiert, namentlich die Frage nach der demokratischen Legitimation der Gemeinschaft und der Rolle der Gemeinsamen Versammlung, dem Vorläufer des heutigen Europäischen Parlaments: „Das Problem der demokratischen Legitimation steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Regelungsreichweite und –intensität der Rechtsetzung auf Europäischer Ebene. Betrachtet man die Einheitliche Europäische Akte im Vergleich zu den Gründungsverträgen, so wird deutlich, wie vermehrt Legislativbefugnisse auf die Europäische Ebene transferiert wurden.“

Abschließend betont Joel Herok seine Dankbarkeit dafür, dass es ihm der Sørensen Grant ermöglichte, diese spannende und erkenntnisreiche Zeit in den Historischen Archiven der Europäischen Union zu verbringen. Der Aufenthalt in Florenz hat ihn darin bestärkt, weiterhin intensiv an seinem Dissertationsprojekt zu arbeiten, das er zum Ende des nächsten Jahres zum Abschluss bringen möchte. 

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